Die vier Schritte der GFK

11. Juni 2024 durch
Die vier Schritte der GFK
Christian Drees

Das Vier-Schritte-Modell der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg ist das zentrale Übungsmodell der GFK. Es dient dazu, offen und respektvoll miteinander zu kommunizieren und Konflikte konstruktiv zu lösen. Durch die Anwendung dieses Modells lernen Menschen, ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle klar auszudrücken und gleichzeitig die des Gegenübers besser zu verstehen. Dies hilft, Missverständnisse zu reduzieren, Beziehungen zu stärken und eine empathische sowie wertschätzende Kommunikation zu fördern.

Schritt 1: wertfreie Beobachtung

  • Was sehe ich/ siehst du?
  • Was höre ich/ hörst du?

Tipp: Was hätte die Linse einer Kamera (ohne Deutungen oder Interpretationen) aufgenommen?

Wir neigen oft dazu, Be-obachtungen mit Be-wertungen zu verwechseln, da wir in der Regel etwas beobachten und gleichzeitig bewerten.

Beispiel: „Du hast den Müll schon wieder nicht ’runter gebracht. Ich dachte, du liebst mich.“

Der Ausdruck „schon wieder“ ist eine Bewertung und daher keine Beobachtung. Der Satz „Ich dachte, du liebst mich.“ stellt eine Erwartung und eine Interpretation dar. Der Sprechende denkt, dass die andere Person den Müll deshalb nicht weggebracht hat, weil sie ihn nicht (mehr) liebt

– was nicht heißt, dass es wirklich so ist. So entstehen u.A. (vermeintlich) unauflösbare Missverständnisse und sich (scheinbar) widerstrebende Interessen. Umso wichtiger ist es daher, bei dem rein Beobachteten zu bleiben, indem ich bspw. sage: „Der volle Müllsack steht neben dem Kühlschrank.“

Wenn Sie ein Gespräch mit einer Bewertung oder Interpretation eröffnen, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich die Konversation zunächst darum dreht, was richtig und was falsch ist. Wenn Bewertungen, Reizwörter (‚immer‘, ‚schon wieder‘) und Urteile in unsere Gespräche einfließen, führt das dazu, dass der andere sich verteidigen möchte, weil er einen Angriff hört. Alle Worte, die ausdrücken, dass etwas mit dem anderen nicht in Ordnung ist, sind tragisch, weil sie nicht dazu führen, dass andere Menschen mit Freude zu unserem Wohlergehen beitragen. Im Gegenteil, sie provozieren geradezu eine Abwehrhaltung und Aggression.

„Die höchste Form menschlicher Intelligenz ist, zu beobachten, ohne zu bewerten.“

 Jiddu Krishnamurti (indischer Philosoph)

Schritt 2: Gefühls-Ausdruck

  • Was fühle ich/ fühlst du?
  • An welcher Stelle im Körper nehme ich/ nimmst du eine Veränderung wahr?
  • Wie kann ich/ kannst du diese Veränderung beschreiben? (Ziehen, Druck, Kribbeln…)

Beispiele für Gefühle bei erfüllten Bedürfnissen: erfreut, inspiriert, neugierig, aktiv, selbstbewusst, liebevoll, kraftvoll, selig, usw.

Beispiele für Gefühle bei unerfüllten Bedürfnissen: launisch, matt, langweilig, erschöpft, benebelt, bewegt, unmotiviert, erschüttert, usw.

Wenn ich sage: „Mir geht es gut.“, dann drücke ich mich sehr vage aus und der andere kann nur erahnen, was ich damit genau meine.

Unsere Gefühle lassen uns uns selbst spüren und uns lebendig sein. Sie weisen uns den Weg zu unseren erfüllten oder unerfüllten Bedürfnissen. Sie geben uns Hinweise darauf, wer wir wirklich sind. Bedürfnisse und Gefühle schaffen folglich eine Verbindung zu uns selbst und zu anderen (verbindende Sprache). Wir leben in einer Welt, in der wir uns angewöhnt haben, unseren Gefühlen wenig Raum und Aufmerksamkeit zu schenken. Stattdessen neigen wir vermehrt dazu, zu denken und zu bewerten, was uns von unseren eigenen und den Gefühlen anderer distanziert (trennende Sprache).

Ein Beispiel: Kennen Sie das auch? Wir sagen „Ich habe das Gefühl, dass…“ (Pseudogefühl) und äußern eigentlich einen Gedanken, obwohl wir davon überzeugt sind, von unseren tatsächlichen Gefühlen zu sprechen.

Pseudogefühle

Pseudogefühle (griech. pseudo=falsch) sind keine richtigen Gefühle, sondern eine Mischung aus Gefühlen und Gedanken. Sie erschweren uns den Weg zu unseren Bedürfnissen, da unser Gegenüber oftmals einen Vorwurf hinter unseren Worten vermutet.

Pseudogefühle lassen sich in zwei Kategorien einteilen:

1) in Opfergefühle

(enthalten beschuldigende Gedanken und versteckte Bedürfnisse)

Ich fühle mich…

herabgesetzt, erniedrigt, nicht wertgeschätzt, hintergangen, verlassen, beobachtet, ausgenutzt, ausgetrickst, verarscht, usw.

Statt „ich fühle mich ausgeschlossen“ können wir z.B. sagen: „Ich fühle mich unsicher und allein und hätte gern mehr Kontakt mit der Gruppe.“.

2) in Selbstbeurteilungen

(enthalten Gedanken über mich selbst)

Ich fühle mich…

inkompetent, wertlos, überlegen, verschlossen, überflüssig, nützlich, überarbeitet, wie vom Auto überfahren (bildhafter Vergleich), usw.

Statt „Ich fühle mich mächtig“ sagen wir bspw. lieber „Ich fühle mich stark und sicher, dass ich die Herausforderung meistern werde.“.

Schritt 3: Bedürfnis-Äußerung

  • Was ist mir/ dir wichtig?
  • Was brauche ich/ brauchst du?
  • Worauf lege ich/ legst du Wert?
  • Was liegt mir/ dir am Herzen?
  • Was möchte ich/ möchtest du?)

Beispiele für Bedürfnisse, die Autonomie ausdrücken: Spontaneität, Würde, Unabhängigkeit, Freiheit, Selbstausdruck, Raum, usw.

Beispiele für Bedürfnisse, die Verbindung ausdrücken: Geborgenheit, Kontakt, gehört werden, Respekt, Liebe, Gemeinschaft, Nähe, usw.

Beispiele für Bedürfnisse, die Frieden ausdrücken: Harmonie, Ruhe, Gelassenheit, Akzeptanz, Toleranz, Hoffnung, Balance, usw.

Beispiele für Bedürfnisse, die Sinn ausdrücken: Wirksamkeit, Kreativität entdecken, Orientierung, Klarheit, Herausforderung, Fortschritt, das Leben feiern, usw.

Beispiele für Bedürfnisse, die Spaß und Spiel ausdrücken: Humor, Entspannung, Abenteuer, Begeisterung, usw.

Beispiele für Bedürfnisse, die körperliches Wohlbefinden ausdrücken: Sauberkeit, Nahrung, Sicherheit, Schlaf, Sexualität, Bewegung, Unterkunft, usw.

Kriterien, die ein Bedürfnis als solches ausmachen:

– es ist abstrakt und allgemein

– es ist positiv formuliert

– es enthält keinen Bezug zu bestimmten Personen, einem Zeitpunkt oder einem bestimmten Ort

Rosenberg glaubt, dass Bedürfnisse universell sind, also allen Menschen auf der Welt gemein und unabhängig von Zeiten und Epochen. Die Bedürfnisse einzelner Menschen stehen nie im Widerspruch zueinander, sondern nur die Strategien, mit denen diese Bedürfnisse erfüllt werden sollen. Wir alle haben an jedem Ort und zu jeder Zeit Bedürfnisse und wir nehmen sie nur deshalb wahr, weil sie Gefühle in uns hervorrufen, die uns signalisieren, wann und ob ein Bedürfnis erfüllt ist. Angenehme Gefühle zeigen uns, dass ein oder mehrere Bedürfnis(se) erfüllt ist/sind, unangenehme Gefühle zeigen uns, dass ein oder mehrere Bedürfnis(se) unerfüllt ist/sind.

Wünsche unterscheiden sich von Bedürfnissen dahingehend, dass sie Ansätze zu Strategien enthalten. Um die Ursache eines Konfliktes herauszufinden, ist es daher vorteilhaft, Bedürfnisse (z.B. Hunger) und Strategien (z.B. „Schmierst du mir ein Brot?“) klar voneinander zu trennen.

Schritt 4: Bitte

  • an mich selbst oder den anderen
  • Was kann ich/ kannst du tun, um meine/ deine Bedürfnisse zu stillen?

Es gibt 2 Arten von Bitten:

1) Handlungsbitte: Wir können uns selbst oder jemand anderes darum bitten, etwas zu tun.

2) Beziehungsbitte: Wir können jemand anderes darum bitten, uns mitzuteilen, wie er sich fühlt oder was er braucht.

„Magst du mir sagen, wie es dir damit geht, wenn du das so hörst?“

Oder Wir können jemanden bitten, uns zu sagen, was er gerade gehört hat.

„Magst du mir mitteilen, was du gerade gehört hast?“

Wir können auch fragen: „Möchtest du wissen, wie ich mich gerade fühle?“

„Möchtest du, dass ich dir sage, was ich gerade gehört habe?“

Bitten sind besonders dann erfolgreich, wenn …

– sie positiv formuliert sind

– sie realistische Handlungen ganz konkret benennen

– sie ein Element enthalten, das jetzt erfüllbar ist

– sie dem anderen seine Entscheidungsfreiheit lassen (also auch ein ‚Nein‘ akzeptieren können)

– der andere darauf vertrauen kann, dass seine Bedürfnisse auch zählen („Okay?“, „Geht das für dich?“, „Einverstanden?“)

„Die angesprochene Person muss darauf vertrauen können, dass es sich um eine Bitte und nicht um eine Forderung handelt. Wenn Menschen nämlich erst einmal eine Forderung gehört haben, dann sind ihre Wahlmöglichkeiten nur noch Unterwerfung oder Rebellion.“

                                                                                                            Marshall Rosenberg